Der junge Mann im Trenchcoat kauft eine Flasche Tannenzäpfle und eine Tüte Haribo-Berries. Der Nächste trägt einen Kasten Kölsch in den Regen. Er kommt alle zwei Wochen. Die Dritte stellt ihr Fahrrad mit Kindersitz direkt vor die Tür, will nur schnell eine Brezel mitnehmen. Der Vierte steht lange vor dem Regal mit den deutschen Süßigkeiten. Dann entscheidet er sich für eine Packung Toffifee, eine Tafel Ritter Sport Knusperflakes, Hanuta und eine Apfelschorle von Fritz-Kola.

Die Rue Popincourt ist eine kleine Einbahnstraße im Osten von Paris, in der Nähe des großen Friedhofs Père Lachaise. Eine hellblaue Fromagerie, eine Brasserie mit rot-weiß gestreifter Markise, dazwischen eine Briocherie und ein Biobäcker. Und ein kleiner Laden mit einer schwarz lackierten Front. "Kiez Kiosk" steht in weißer Neonschrift über dem Eingang. Aus den Boxen singen Madsen, dass man die Musik anlassen soll. Die Regale sind gefüllt mit Deutschland: Surol-7-Kräuter-Essig, Dr. Oetker Käsekuchenmischung, BiFi. Berliner Luft und Monkey Gin. "200 Biersorten, wenn alles vorrätig ist", sagt Niklas Riehm, der hinter der Kasse sitzt. Der Kiez Kiosk ist sein dritter Laden.

Paris spricht plötzlich Deutsch. Zumindest auf Schildern. "Kiez Biergarten" in Montmartre, "Berliner Das Original" um die Ecke vom Louvre oder neben den Galeries Lafayette, "Wunderbär" am Canal St. Martin, "Wunderbar" in Pigalle, Bastille und Châtelet. Bars, die deutschen Techno versprechen. Biergärten mit deutscher Gemütlichkeit. Kiosk wie in Berlin und Döner wie in Berlin. Ich hatte davon gehört. Aber ich hatte nicht erwartet, dass es so viele sein würden.

Die Pariser sind dafür bekannt, vor allem um sich selbst zu kreisen. Hauptstadt der Mode, Hauptstadt der Kulinarik, Hauptstadt des Savoir-vivre. Eine Stadt, die sich gegen Einflüsse von außen stets gewehrt hat. Paris folgt keinen Trends, Paris ist der Trend. So zumindest das Klischee, das auch ich mit mir rumschleppe. Und Deutschland im Ausland – das ist doch ein weiteres Klischee: Riesenbiere und Wurst. Und jetzt soll Deutschland ausgerechnet in Paris cool sein?

Niklas Riehm aus dem Kiosk ist einer, der deutsche Produkte überhaupt erst nach Paris gebracht hat. Er hat Locken, trägt Fünftagebart und spricht ein witziges Gemisch aus Hamburger Dialekt und französischem Akzent. Mit 18 Jahren ist er als Au-pair in die Stadt gekommen, geblieben und hat seitdem in der Gastronomie gearbeitet. Früher, sagt er, dachten die Pariser bei Deutschland an den korrekten Kommissar Derrick. "Aber Deutschland ist nicht mehr das graue Land aus den Achtzigern." Mit seinen drei Läden will er den Franzosen zeigen, was Deutschland stattdessen ist: ein gemütlicher Biergarten.

Den ersten eröffnete er 2014 in Montmartre, drei Wochen bevor die Fußball-WM begann. Einen kurzen Spaziergang von Sacré-Cœur entfernt liegt er in einer Seitenstraße mit elf Stockwerken Plattenbau statt verzierter Balustraden. An einem sandsteinfarbenen Haus hängt das Paulaner-Schild. Läuft am besten, sagt Riehm, ist aber auch das günstigste: 6,90 Euro für einen halben Liter. Pardon? "Höhere Alkoholsteuer, Importkosten", erklärt er schnell.

Der Biergarten versteckt sich im Innenhof. Oder eher: das Biergärtchen. 35 Quadratmeter, höchstens. Je weiter damals die deutsche Mannschaft kam, desto mehr Menschen strömten hierher. Riehm zapfte deutsche Biere, servierte Käsespätzle und Brezeln. Am Ende des Turniers lagen auf der "Weltmeisterplatte" Bockwurst, Nürnberger und Sauerkraut, und der Biergarten war voll.